Ich gehe zur Mitte

TANZ UM DEN BAUM DES LEBENS

Im japanischen Hiroshima ist ein Wunder 
geschehen.
Am 06.08.1945 wurde über der Stadt die erste 
Atombombe gezündet, um den Weltkrieg zu 
beenden. Unvorstellbare Zerstörung – eine 
Trümmerwüste, verstrahlte Erde, 90 000 
Menschen starben sofort, doppelt so viele in 
Folge, vielfältiges Siechtum. Als auf Nagasaki 
ebenfalls eine A-Bombe fiel, war ein ganzes 
Volk am Ende, auch seelisch zertrümmert, 
hoffnungslos, resigniert.
An der Südseite des Rathauses von Hiroshima 
waren die schwarz verkohlten Stümpfe von ein 
paar Kirschbäumen stehengeblieben. Eines 
Morgens, im April 46, sah der Bürgermeister, 
was er nicht für möglich gehalten hätte. Aus 
dem Schwarz der toten Zweige brach das helle 
Rosa von Kirschblüten hervor. Scharen von 
Menschen pilgerten an den folgenden Tagen
zu den Bäumen, das ganze Land erfuhr davon.
Und jetzt begannen sie wirklich zu glauben, 
dass die zwei Städte nicht eine Atomwüste 
bleiben und das ganze Volk eine Zukunft haben 
werde.
Dass verkohlte Baumstümpfe zum Blühen 
kommen, ist schon wunderbar, aber dass 
Millionen kraftloser, resignierter Menschen 
dadurch wieder Mut zum Leben bekamen – 
ist das nicht das eigentliche Wunder?

Das sei ein bescheidenes Bild für das, was wir zu 
Ostern feiern. Das Holz des Todes, das Schand-
kreuz der Römer, musste den Toten wieder 
hergeben. Aus Gottes Kraft und Liebe zum Leben 
gerufen, war in der Auferweckung Jesu die 
bisherige Todesherrschaft gesprengt, wie eine 
neue Schöpfung und gültig für alle. 
Um im Bild zu bleiben. Das tote Kreuzesholz 
begann zu blühen, wurde zum Baum des Lebens.

Und seine Früchte dürfen, ja sollen wir „essen“,
uns einverleiben, um neue Lebenskraft zu 
erfahren:

Da schmeckt die wunderbarste Frucht
dass auch unser leiblicher Tod uns nicht ins Nichts 
stürzt, sondern eine Neugeburt ist zu einem Leben 
im göttlichen Licht, zu einem paradiesischen 
Dasein (von dem der jetzt bestätigte Jesus 
gesprochen hatte).
Da schmeckt die befreiende Frucht, 
dass der handelnde Gott kein Angstmacher ist, 
sondern als liebender Vater, liebende Mutter uns 
umarmen möchte.
Da schmeckt die heilende Frucht, 
dass menschliche Schuld, all unser Versagen 
keinen Verurteiler, sondern einen Auf-Richter 
erfahren wird, der alles von uns Zerstörte wieder 
aus-richtet in einen Geist der Liebe.
Da schmeckt die stärkende Frucht, 
die in Bedrängnis, Krankheit und Not eine 
Kraftquelle der Hoffnung ist. 
Da schmeckt die belebende Frucht, 
dass sich jeder Einsatz für eine bessere Welt, 
eine friedvollere Menschheit lohnt und uns 
Sinn erfahren lässt. 
Da schmeckt die geschenkte Frucht 
von Brot und Wein, die Zeichen, dass der 
Auferstandene an unserer Seite ist und all 
unsere Wege mitgeht.

Der Früchte sind noch viel mehr. Ist das nicht Anlass genug
zu einem fröhlichen Tanz um den Lebensbaum?

Ulrich Schäfer